Gute Nacht, Freunde.
- 05. Apr. 2023
- , 17:24
von Markus Langemann
Wie viele Freunde haben Sie während der simulierten Pandemie verloren?
Keine? – Viele?
Wenige vielleicht, weil jene, die Sie zunächst für verloren geglaubte Freundschaften hielten, in Ihrer Nachbetrachtung doch bestenfalls nur sympathische Flugbegleiter in Ihrem Leben waren. Menschen eben, die freundlich und hilfsbereit mit Ihnen irgendwie über Jahre in die gleiche Richtung reisten, auch mal bei schwererem Gepäck anfassten, die aber bei den echten Turbulenzen im Leben Ihnen ganz klar Ihren Platz zuwiesen. Im Regierungsflieger.
Diese Flugbegleiter durch Ihr Leben gaben Ihnen die Anweisungen: Gerade hinsetzen. Anschnallen. Testen. Maske auf. Klappe halten. Nicht querdenken. Beten oder Lanz sehen.
Diskussion/Gedankenaustausch unmöglich.
Fernsehen an. #wirbleibenzuhause.
Widerworte unerwünscht.
Selbst denken auch.
Fakten sowieso.
Der Autor Sebastian Schoepp schreibt in seinem Buch „Rettet die Freundschaft!“, dass laut einer Allensbach-Erhebung vom August 2020 85,4 Prozent der Deutschen gute Freunde und die Beziehung zu anderen Menschen für besonders wichtig halten.
Aristoteles definiert Freundschaft als Ideal „zwischen Menschen, die gut und gleich an Tugend sind“. Wesentliche Merkmale dieser Art der Freundschaft seien, dass man dem Freund um seiner selbst willen Gutes wünscht, ebenso um seiner selbst willen mit ihm befreundet ist und nicht aus irgendwelchen besonderen Gründen.
Ich persönlich denke, Freundschaft beginnt dort, wo Egoismus aufhört.
So gesehen habe ich wohl in den vergangenen drei Jahren tatsächlich Freunde verloren. Sie waren eigentlich mehr als Freunde, schon Familienmitglieder. Ein Journalistenpaar. Wir aßen, tranken, durchtanzten Nächte in meinem Haus. Ich war Gast in ihrem. Wir kennen uns fast ein halbes Leben lang und unsere Kinder kennen sich ein ganzes. Wir arbeiteten bei denselben Sendern, irgendwann gingen sie in Anstellung in die ARD. Ich blieb Medienunternehmer und freier Publizist, öffentlich-rechtliche Anstalten waren mir schon immer suspekt. Auch Badeanstalten. Feuchtbiotope für Schimmeliges oder Kriechtiere sind nicht so meins.
Dann kam dieser Propaganda-Urknall, der ganze Coronakosmos, mit Ausgrenzungen und Regeln, die nicht hinterfragt werden durften. Er entstand in einer Nacht, so schien es. Ich fühlte mich vor die Aufklärung zurückgeschleudert. Aberglaube und religiöser Fanatismus beim Folgen von Drostens TV- und Podcastpredigten nahmen ihren Lauf. Ebenso wie Diffamierungs- und Ausgrenzungswillkür wie einstmals bei absolutistischen Herrschern.
Mein öffentliches Ringen um Vernunft und Toleranz mit Old-School-Journalismus statt PR-Papperlapapp nahm Fahrt auf.
Irgendwann in jener Zeit bekam ich von meinem Freund Frank einen kurzen handgeschriebenen Brief mit einem langen Zeitungsartikel aus der Süddeutschen Zeitung. Der SZ. Ausgerechnet! Zwei ganze Seiten über die Freundschaft von zwei Krankenschwestern, die zerbrach: eine über die regierungstreue, die andere über die kritische, abwägende Krankenschwester, die ungeimpft und hinterfragend dem Regierungsnarrativ nicht folgen wollte.
Raten Sie mit, wer nach dem Lesen der Reportage als Depp dastand.
Frank sandte mir die Zeitungsseiten mit der Bemerkung, er mache sich Sorgen um unsere Freundschaft. Warum genau, schrieb er nicht. Der Subtext schwang mit, schließlich kennen wir uns wie gesagt ein halbes Leben. Ich driftete in seinen Augen wohl ab.
Ja, ich driftete ab! Gott sei Dank.
Er sendete derweil weiter der öffentlich-rechtlichen Rente entgegen und damit mit geringem Anstaltsabstand zu den Kakistokraten in Berlin.
Wenn ich mit dem Artikel nichts anfangen könne, möge ich ihm diesen zurücksenden, schrieb er in seinem Brief. Ich sendete ihn zurück. Das Buch des ehemaligen SZ-Autors Birk Meinhardt, „Wie ich meine Zeitung verlor“, legte ich dazu. Darin schreibt der Träger des Egon-Erwin-Kisch-Preises von Redakteuren, die in der SZ die „einfachsten Regeln des Journalismus und der Psychologie missachten“ (S. 85).
Ich war auf seine Antwort freudig gespannt, vielleicht würde sich ein fruchtbarer Dialog entwickeln. Unter Freunden. – Das ist jetzt circa zweieinhalb Jahre her. Ich warte noch immer.
Ein anderer Freund, lange Jahre Journalist in Berlin, einstmals Pressesprecher von Ministern, schickte mir nach meiner exklusiven Veröffentlichung der deutschen Fassung des Seymour-Hersh-Artikels über die Nord-Stream-2-Sprengung eine Nachricht über WhatsApp. Er schrieb darin, ich verbreite ein „Russen-Narrativ“ mit sehr, sehr vielen „Implausibilitäten“, die „kein respektables Magazin veröffentlichen wollte“. Ich betriebe „billige Agitation und Propaganda“ und würde auch sonst „fragwürdige Gestalten promoten“, für ihn „unappetitliche Leute“. Ich möge aus meinem „closed mindest“ kommen.
„Hossa!“, dachte ich.
Auf solche Anwürfe antwortet man nie im Reflex. Man überschläft und überdenkt Kritik, auch wenn sie unqualifiziert und nur eine Aneinanderreihung von Phrasen und Schlagworten ist.
Nun, inzwischen gibt es sogar einen zweiten Hersh-Artikel, den Sie vielleicht kennen. Er ordnet ein und überprüft. Dr. Johanna Weber hat ihn für den CdkW verfasst.
Dass mein Berlin-Freund, den ich als kritischen Geist immer sehr schätzte, nicht zum Telefon griff und den interessiert-kritischen Dialog suchte, sondern seine Kritik in strunzender Manier über das Zuckerberg-Netzwerk WhatsApp absonderte, verwunderte mich sehr, gehört aber wohl zum Geist der Zeit.
Das Land ist inzwischen voll von digitalen Heckenschützen, die mit verkniffenem Blick, nervösem Finger und moralischer Überlegenheit Posts absetzen, zum Beispiel auf Twitter. Die Rückkehr des Scherbengerichts mit anderen Mitteln.
Dass ich gerade von ihm, dem Ex-Pressesprecher, Propaganda, unappetitliche und fragwürdige Gestalten im Umfeld vorgeworfen bekomme – also Worthülsen ohne konkrete Bezugnahme –, amüsierte mich, denn ist es nicht genau das, was man von einem Polit-Pressesprecher erwartet?
Ich war enttäuscht. Wie deformativ das Leben in der Politik wirkt, merkt man wohl nicht mehr, wenn sie einen nährt. Andererseits ist es ja bekannt, dass sich Journalist und Politiker im politisch-medialen Komplex in Berlin wie Parasit und Wirt verhalten. Ich antwortete nicht. Ein Widerstand um jeden Preis sei das Sinnloseste, was es geben kann, stellte einmal Friedrich Dürrenmatt fest.
Nun, ein weiterer Flugbegleiter weniger.
Ich schreibe Ihnen diese Zeilen, weil sie Ihnen vielleicht Trost oder auch nur Erleichterung spenden, denn sie beleuchten kurz das Durchschwingen der Corona-Abrissbirne auch an diesem Ende des Kommunikationsstrangs. Stabil gemauerte Freundschaften hat sie wohl in allen Gesellschaftsbereichen zum Einsturz gebracht.
Von verlorenen Freunden weiß auch Ulrike Guérot zu berichten. Sie ist in einigen Kreisen die meistgehasste Frau in Deutschland, weil sie fundierte Kritik und differenzierte Ansichten zur Coronapolitik äußerte und konsequent für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen im Ukrainekonflikt eintritt. Sie sagt im Interview mit der Schweizer Weltwoche zur Kritik an ihrer Person: „Es gibt kein Wohlwollen mehr, es gibt nur noch Böswilligkeit, und damit habe ich schon verloren, egal was ich mache.“ Und zu ihrem aktuellen Deutschlandbild: „Ich habe das Gefühl, ich bin umgeben von 80 Prozent Bürgern, die bereit waren, im Handumdrehen die Freiheit auf den Tisch zu legen. Für ein Virus.“
Die gute Nachricht – ich höre oft Sätze wie diesen: „Ich habe aber auch neue Freunde gefunden in der Krise, und diese Beziehungen sind von größerer Tiefe und Wahrhaftigkeit gleich von Anbeginn.“
Gute Nacht, Freunde!
Es wird Zeit für mich zu gehen
Was ich noch zu sagen hätte
Dauert eine Zigarette
Und ein letztes Glas im Stehen
Habt Dank, dass ihr nie fragt, was es bringt, ob es lohnt
Vielleicht liegt es daran, dass man von draußen meint
Dass in euren Fenstern das Licht wärmer scheint
Lyrics aus: Gute Nacht, Freunde – Reinhard Mey